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Autor: Dunderklumpen
Fandom: Anne auf Green Gables
Genre: Romanze, AU
Personen: Gilbert/Christine, Gilbert/Anne
Rating: G
Word Count: 2.503
Zusammenfassung: Die Geschichte entstand als Antwort auf den FF-Wettberwerb des Anne-Boards. Prompt war der kursiv gedruckte erste Teil der Geschichte. Ausgehend von dem Heiratsantrag solte man sich eine alternative Handlung zu den Büchern einfallen lassen. Dies hier ist meine.
Disclaimer: Die gesamte Buchserie über Anne auf Green Gables ist Eigentum von Lucy Maud Montgomery und ihren Erben. Die drei Filme zu den Büchern sind Eigentum von Sullivan Productions.
Beta: 1.000 Dank an
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„Ein Wort – ein Leben“
„Lass Phil und die Veilchen, Anne“, sagte Gilbert ruhig und hielt ihre Hand so fest, dass sie sie nicht wegziehen konnte. „Ich muss dir etwas sagen.“
„Oh, nicht“, rief Anne flehend. „Nicht - bitte, Gilbert.“
„Es muss sein. So kann es nicht weiter gehen, Anne. Ich liebe dich. Das weißt du. Ich... ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr. Willst du mich heiraten?“
Sie sagte ‚Nein’.
Sie sagte ‚Nein’ und es brach ihr das Herz. Gilbert schaute sie mit solch einer Trauer an, dass sie sich fühlte, als hätte sie ihm einen Dolch in die Brust gerammt. Sie versuchte es zu erklären, versuchte ihm zu sagen, dass sie ihn nicht genug liebte und er jemanden verdiente, für den er allein die Erfüllung aller Träume und Wünsche wäre. Doch er hörte sie kaum. Noch einmal sah er sie intensiv an, seine Hand ruhte wenige Sekunden auf ihrer Wange – und dann war er fort, aus ihrem Leben verschwunden.
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Sie hatte dem Eingang den Rücken zugewandt und so sah sie nicht, dass Gilbert den grünen Rasen betrat und langsam auf sie zuging.
Die warme Hand auf ihrer Schulter brachte sie dazu, sich umzudrehen. Was sie sah, waren die dunklen Augen eines Freundes, den sie lange vermisst hatte und der sie an sich zog. Als er ihre Arme um sie schloss, fühlte sie sich geborgen. Er war da, um sie zu trösten, so dass sie alle Schranken fallen ließ. Sie spürte seine Hände über ihren Rücken streicheln, als er sie sanft hin und her wiegte, seine Brust nass von ihren Tränen.
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Er hatte Christine Stuart dabei. Sie war seine Verlobte. Für den Bruchteil einer Sekunde war sie wütend, doch sie verdrängte das Gefühl. Sie hatte kein Recht dazu. Ja, Gilbert war immer noch ein guter Freund, aber sie hatten zu lange kaum ein Wort miteinander gewechselt.
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Normalerweise wusste man nicht, wann einem eine solche Abbiegung bevorstand, doch sehr selten hatte man die Chance das Gesamtbild zu betrachten – den Weg, den einem das Leben vorzeichnete. Es waren Momente der absoluten Klarheit, in denen man seine Vergangenheit erkannte und seine Zukunft erahnte.
Die Gerüchteküche brodelte seit Wochen. Rachel Lynde hatte sie über kein Detail im Unklaren gelassen und so wusste sie genauso, wie der Rest von Avonlea, dass Gilbert hier eine Praxis eröffnen wollte. Es war selbstverständlich, dass seine Frau ihm in seine Heimatstadt folgte. Was jedoch keiner geahnt hatte, offenbarte sich nun unter Annes Augen deutlich. Christine war schwanger.
Ein Stich fuhr durch Annes Herz und mit einer Heftigkeit, die sie nie erwartet hätte, erkannte sie, dass sie Gilbert liebte, immer geliebt hatte. Eifersucht, Schmerz und Überraschung durchfuhren sie, die in einsamer Trauer endeten. Es war zu spät!
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Die erste Zeit, nachdem sie sich eingestanden hatte, dass sie Gilbert liebte, war hart. Sie vergrub sich in Arbeit. Ihre nächtlichen Phantasien jedoch konnte sie nicht verdrängen. Wochenlang träumte sie von ihm. Ihre geistige Einheit war eine Sache, die reine körperliche Lust eine ganz andere. Ihr Kopf spielte ihr Streiche und mehr als einmal erwachte sie schwer atmend und mit kribbelndem Unterleib. Sie sehnte sich nach ihm mit jeder Faser ihres Daseins.
Doch auch das verging.
Die Zeit heilt alle Wunden.
Sie brachte Abstand zwischen sich und die Blythes, kehrte als Rektorin nach Summerside zurück. Die Pringles waren begeistert, doch Anne wusste, dass es nichts weiter als eine Flucht darstellte. Gilbert und sie schrieben sich, der Ton der Briefe freundschaftlich leicht. Niemals sollte er erfahren, was es sie kostete, diese Zeilen an ihn zu richten. So sehr sie um den Verlust von etwas trauerte, das sie nie gehabt hatte, war sie doch glücklich um seinetwillen. Er hatte eine Frau, die ihn liebte, eine Tochter, die er vergötterte und eine Karriere als Arzt in der Stadt, die sein Zuhause war.
All das hätte sie haben können, gemeinsam mit ihm…
Die Zeit heilt alle Wunden.
Sie legt sich wie Balsam über den frischen Schmerz, bis er dumpf in der Brust sitzt und schließlich nur noch eine zaghafte Erinnerung ist. Ein vages Nagen im Unterbewusstsein.
Als sie Gilbert das erste Mal gesehen hatte, nachdem seine Tochter zur Welt gekommen war, hatte sie all den Schmerz erneut gefühlt, der sie in den Monaten zuvor verfolgte. Doch sie lächelte. Er war ihr Freund und als gute Freundin würde sie für ihn da sein.
Dieser Begegnung waren viele gefolgt und heute stand sie erneut dort, wo sie als junge Lehrerin ihre erste Klasse unterrichtet hatte. An der Schule von Avonlea hing ihr Herz. Jede Ecke war voller Erinnerungen, wisperten die Wände alt vertraute Worte des Willkommens. Keiner verstand, warum sie den gut bezahlten Posten als Direktorin aufgegeben hatte, nur um als einfache Lehrerin hierher zurückzukehren. Keiner – bis auf Gilbert und Diana, die ihre Liebe zu diesem malerischen Fleckchen Erde auf Prince Edward Island teilten.
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Romantische Liebe war ein wichtiger Teil des Lebens, aber er war nicht alles. Sie hatte Freunde in Avonlea; Diana, Fred und die Kinder waren ihre zweite Familie. Ihr Beruf machte ihr Spaß und sie fand Erfüllung in dem, was sie tat. Vor langer Zeit hatte sie eingesehen, dass sie ihr Leben nicht mit der Trauer um eine Zukunft verschwenden durfte, die es niemals geben konnte, sondern dass sie im Hier und Jetzt leben musste. Sie nahm ihren eigenen Ratschlag an und machte das Beste daraus.
Sie lebte ihr Leben und nur selten noch erinnerte sie sich an den Schmerz, wenn sie die Blythes sah. Die Zeit hatte ihren Tribut gezollt und doch hatten Gilbert und sie es geschafft, an einer Freundschaft festzuhalten, die einst in einem Klassenzimmer in Avonlea begann.
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Jahre vergingen und kerbten die Zeichen des Alters in das Leben um sie herum. Menschen wurden geboren und starben. Gilbert hatte alles gesehen in seiner Laufbahn. Als Arzt war man mit dem Besten und dem Schlechtesten konfrontiert – man lernte damit zu leben und wurde weiser. Viel zu oft hatte der Tod ihm in seiner Profession Gesellschaft geleistet und so erkannte er ihn auch in Christine.
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Es kam ihr vor, als wäre es erst gestern gewesen, als er dies zum letzten Mal gemacht hatte. Sie fühlte erneut die Hitze seiner Haut, den losen Griff, mit dem er ihre Finger hielt. Ihr Blick fiel auf ihrer beiden Hände, voller Runzeln und Altersflecke. Das Äußere mochte sich verändert haben, aber tief in ihrem Innern war sie das gleiche junge Mädchen von damals. Gilbert schaute sie an und lächelte wehmütig.
„Ich habe Christine geliebt“, sagte er ruhig, „aber du, Anne, du warst meine große Liebe. So sehr ich versuchte, es nicht zu tun, aber ich habe dich immer geliebt.“
Er schwieg und für einen kurzen Moment befürchtete Anne, er würde seine Worte bereuen.
„Ich hatte das Glück, zwei wundervollen Frauen in meinem Leben zu begegnen und ich danke dem lieben Gott jeden Tag für das, was er mir gegeben hat. Ohne Christine hätte ich meine Kinder nicht, die mir die Welt bedeuten. Und du warst immer eine gute Freundin, eine Seelenverwandte.“
In Annes Augen schimmerte Verständnis. Sie erwiderte nichts, sondern hörte zu.
„Jetzt in diesem Moment, Anne, fühle ich mich genauso, wie an dem Tag vor 50 Jahren, als wir schon einmal so wie jetzt hier standen. Und ich habe dir dasselbe zu sagen wie damals: Ich liebe dich, Anne Shirley, und ich werde dich immer lieben.“
Sie drehte ihre Hand in seiner, so dass ihre Handflächen ineinander lagen.
„Und ich liebe dich, Gilbert Blythe.“
Es waren Worte, die sie Jahrzehnte in ihrem Herzen getragen hatte, weggeschlossen hinter dicken Mauern. Es waren Worte, von denen sie nachts träumte und die ihr viele Male auf der Zunge lagen. Es waren Worte, die immer nur einem Menschen gegolten hatten und von denen sie niemals gedacht hätte, dass er sie hören würde. Es war der simple Ausdruck von über 50 Jahren Freundschaft und Liebe.
Sie lächelte und lehnte sich sachte vor. Ihre Münder trafen sich und endlich, endlich erfüllte sich, was das Schicksal für beide vorgesehen hatte.